Zur Kasse, bitte! by Wolfgang Albers
Autor:Wolfgang Albers
Die sprache: deu
Format: epub
Herausgeber: Verlag Das Neue Berlin
veröffentlicht: 2016-08-03T16:00:00+00:00
II Wie die ökonomische Logik zum Maß der Dinge wird
Ursprünglich gab es einmal 800 Fallpauschalen. Aus der Notwendigkeit heraus, auch individuelle Faktoren wie das Alter, Vor- oder weitere Nebenerkrankungen und eventuelle Komplikationen im Verlauf zu berücksichtigen, wurde die Abrechnungssystematik, die als lernendes System konzipiert ist, immer komplexer.
Mittlerweile gibt es bereits rund 1200 solcher Pauschalen, die die Abrechnung immer komplizierter und bürokratischer machen. Ein Unterfangen, das den einzelnen Arzt längst überfordert. Allein für einen »Kaiserschnitt«, eine »Sectio caeserea«, kennt das System aus rein abrechnungstechnischen Gründen acht verschiedene Fallgruppen, welche die unterschiedlichen Verläufe mit ihren möglichen Komplikationen abbilden sollen. Dabei kann es um viel Geld gehen.
So entscheidet 1 Gramm Lebendgewicht eines Neugeborenen über eine Einnahmedifferenz von 4271,91 Euro für die Häuser. Das ist nämlich der Unterschied zwischen der Summe, die die Klinik für die Behandlung eines Neugeborenen bekommt, das mit »mehreren schweren Problemen« geboren wird und bei der Geburt unter oder über 2499g wiegt.
Um in dem Abrechnungssystem möglichst erfolgreich zu jonglieren und so viel Geld wie möglich aus jedem einzelnen Behandlungsfall herauszuholen, entstanden in den Kliniken völlig neue Berufe. So gibt es nun Medizincontroller, Medizinische Dokumentationsassistenten und Klinische Codierfachkräfte. Eine eigene Abteilung für das »Medizin-Controlling« wurde geschaffen, die in der Regel, direkt der Geschäftsführung unterstellt ist.
Zwar legen die »Deutschen Kodierrichtlinien für das DRG-System« eindeutig fest, dass die Verantwortung für die Dokumentation von Diagnosen und Prozeduren, insbesondere im Hinblick auf die jeweilige Hauptdiagnose, allein beim behandelnden Arzt liegt, häufig genug jedoch fügen die Medizincontroller im Nachgang anhand des OP-Berichts und der Patientenunterlagen eigenständig mit dem Ziel der Erlösmaximierung die Prozedurenschlüssel ein, die schließlich gegenüber der Krankenkasse abgerechnet werden. Sie sind dafür verantwortlich, jede Fallpauschale exakt mit der vorgeschriebenen Nummer zu versehen und darauf zu achten, dass jeder Fall aufs Akribischste dokumentiert wird, damit auch tatsächlich jede Nebenerkrankung erfasst ist, die die Fallschwere zur »Abrechnungsoptimierung« aufwertet.
Es ist der Jargon der Kaufleute, der mit der Umstellung auf das System der Fallpauschalen in die Krankenhäuser eingezogen ist und mit dem die Beschäftigten dort seit Jahren konfrontiert werden. Begriffe wie »Stars« oder »cash cows« tauchen auf. Sie bezeichnen Fälle, z.B. Leistungen im Bereich der Thorax- und Herzchirurgie, die hohe sogenannte »Fallgewichte« haben und teuer abzurechnen sind. Eine Tracheotomie zum Beispiel, ein Luftröhrenschnitt, mit komplizierten Beatmungsproblemen, ist eine solche »cash cow«, mit der sich hohe Erlöse erzielen lassen.
»Poor dog« dagegen wäre eine normale vaginale Geburt ohne komplizierende Diagnose, die mit einem Fallgewicht von lediglich 0,54 der Klinik nur wenig Geld bringt.
Die Kliniken aber brauchen Geld, also müssen sie ein Interesse an möglichst schweren Fällen haben. Sie entwickelten deshalb eine Meisterschaft darin, die Zahl ihrer »schweren« Fälle durch ein verändertes Codierverhalten bis an die Grenze der Legalität und manchmal wohl auch darüber hinaus zu erhöhen. »Up-coding« nennt man dieses Phänomen, bei dem durch die Art der Erfassung von Nebenerkrankungen die Fallschwere bis an die Grenze der Legalität und manchmal auch darüber hinaus manipuliert wird. Mit der Folge, dass die Kranken, abrechnungstechnisch dokumentiert, noch kränker und damit auch »teurer« wurden und einen entsprechend höheren Erlös brachten.
Auch hat sich unter den DRG-Bedingungen der Trend zum »Fragmentieren« von Behandlungen verstärkt.
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